Rat 29.10.19

Eine völlig unnütze Entscheidung

Die SPD hatte beantragt, dass der Rat eine Erklärung gegen Hass und Antisemitismus beschließt:
„In Nideggen ist kein Platz für Antisemitismus und Rassismus.
Im Stadtgebiet lebten vor dem Hitlerregime viele Bürger und Bürgerinnen jüdischen Glaubens. Nur einige von Ihnen konnten dem Naziterror entkommen.
Das heutige Bürgertum Nideggens ist sich seiner Verantwortung bewusst, alles dafür tun zu müssen, dass sich derlei Schreckliches nicht wiederholt.
Und so werden in Nideggen schon seit Jahrzehnten deutliche Zeiten gesetzt, die der ab 1933 in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechteten, verschleppten, vertriebenen und grausam ermordeten jüdischen Bürger gedenken.
Das geschieht insbesondere durch Gedenktafeln, Stolpersteine und deren Pflege, Patenschaften, Vorträge und Gedenkfeiern.
Antisemitismus hat in Nideggen definitiv keinen Platz. Nideggens Bürgertum distanziert sich außerdem vom Hass gegen Migranten, Muslime, Andersfarbige und Asylsuchende.“

Dass Ratsmitglieder gegen Hass und Antisemitismus sind, sollte selbstverständlich sein. Es braucht nicht beschlossen werden.
Herr Hensch (FDP) kündigte sofort an, dass der Beschluss überflüssig sei und dass die FDP sich enthalten werde. Grüne und CDU sahen das ähnlich.
Der Bürgermeister hatte vorgeschlagen:
„Der Rat der Stadt Nideggen spricht sich in einer Erklärung gegen Hass und Antisemitismus aus. Der Wortlaut der Erklärung entspricht dem Antrag.“

Ich wies Herrn Keß (SPD) darauf hin, dass der Beschluss überflüssig sei. Er fordert, was selbstverständlich ist (sein sollte).
Außerdem ist der Text fehlerhaft. Ein Beispiel:
„Antisemitismus hat in Nideggen definitiv keinen Platz. Nideggens Bürgertum distanziert sich außerdem vom Hass gegen Migranten, Muslime, Andersfarbige und Asylsuchende.“

  • Der Rat kann Steuern oder Gebühren beschließen, aber nicht die Einstellung Nideggener Bürger durch Beschluss ändern. Solange alle Meinungsumfragen zeigen, dass es zu viele Antisemiten in der Bevölkerung Deutschlands gibt, können wir nicht ignorieren, dass das wohl auch in Nideggen der Fall ist.
  • Die Aufzählung “ Hass gegen Migranten, Muslime, Andersfarbige und Asylsuchende“ grenzt andere schutzwürdige Gruppen wie Schwule, Lesben, Diverse, Kommunalpolitiker, Landes- und Bundespolitiker u. a. aus.

Herr Keß argumentierte, dass diese anderen Gruppen doch glimpflicher behandelt würden. Da hat er wohl einen ermordeten Regierungspräsidenten vergessen.

Ich stellte den MFN-Antrag:
„Art. 1 GG fordert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Der Rat Nideggens hält sich an die Regeln des Grundgesetzes. Er achtet die Rechte Anderer.“

Der Bürgermeister sah inzwischen auch keine Notwendigkeit, Selbstverständlichkeiten zu beschließen.  Ich bot Herrn Keß an, unseren Antrag zurückzuziehen, wenn er das mit dem SPD-Antrag auch tut. Das lehnte er ab. Also wurde zuerst über den – weitergehenden – MFN-Antrag abgestimmt. MFN stimmte zu, SPD lehnte ab, der Rest enthielt sich. Damit war der Antrag angenommen. Genutzt hat das niemand.

Eine notwendige Entscheidung.

§ 25 der Gemeindeordnung regelt:
„Einwohner, die seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnen und das 14. Lebensjahr vollendet haben, können beantragen, dass der Rat über eine bestimmte Angelegenheit, für die er gesetzlich zuständig ist, berät und entscheidet.“

2017 hatte ein Nideggener Bürger auf dieser Grundlage den Rat auf die höchst missverständliche Inschrift auf dem sogenannten „Denkmal“ in Schmidt aufmerksam gemacht. Die Inschrift lautet: „Sie starben nicht vergeblich denn sie gewannen den
Frieden zwischen unseren Völkern“.
Der Rat beschloss einstimmig, dass diese Inschrift so nicht unkommentiert stehen bleiben kann.

Nachdem sich nahezu nichts bewegt hatte, wandte sich der Nideggener Bürger 2019 an Kommunalaufsicht und Petitionsausschuss des Landtages. Das brachte Bewegung.
Frau Zentis (Grüne) verfasste eine Stellungnahme  rechtzeitig zur Ratssitzung und sprach das Thema an.
Herr van Londen (CDU) sprach sehr lange. Trotzdem brachte er das Problem, fast versehentlich, auf den Punkt: Es sei peinlich, dass sich Leute äußern, die die Hintergründe nicht kennen. Genau das ist ja das Problem: Wer 2019 diese Inschrift liest, wendet sich entsetzt ab (und sucht nicht nach Hintergründen).

Dass Grüne und MFN absolut gleicher Meinung sind, mag erstmalig (vielleicht auch einmalig) sein. In diesem Punkt war es so!

Ergebnis:

  • Der Stadtentwicklungsausschuss wird am 12.11.19 das Thema erneut aufgreifen.
  • Als Denkanstoß liegt ein vorläufiger Textentwurf der MFN bei den Sitzungsunterlagen. Er entstand als Kurzfassung der Stellungnahme einer anerkannten Historikerin.
  • In den „nächsten Tagen“ wird ein vorläufiges Schild (Link) angebracht, das Besucher beruhigen soll.

Noch ein Hinweis: Hörenswert ist die WDR 5-Sendung
„Hürtgenwald – Umstrittenes Gedenken“

Eine seltsame Entscheidung

Der Bürgermeister legte im nichtöffentlichen Teil der Sitzung dem Rat einen Beschlussentwurf vor:
Einige Quadratmeter Nideggener Grund sollten einem Verein als Parkplatz verpachtet werden. Als Pacht schlug er einen niedrigen 2-stelligen Betrag vor, der kaum den Verwaltungsaufwand deckt.
Nach den ersten beiden Wortmeldungen war schon klar: Dieser Antrag findet keine Mehrheit. Er wurde einstimmig abgelehnt.
Auch der Bürgermeister stimmte gegen seinen Vorschlag.
Geht’s noch?

Erwin Fritsch, 31.10.19